B L O G

oder

die unendlich brodelnde Emotionssuppe

 

von

Annelie Jagenholz

 

Dostojewskis Frühwerk - Teil 1

Samstag, 6. Januar 2018 - in Literatur

Dann also ein paar Gedanken zu dem Frühwerk Dostojewskis. Reihefolge war "Onkelchens Traum", „Das Gut Stepantschikowo“, „Arme Leute“, „Herr Prochartschin“, "Weiße Nächte" und "Ein kleiner Held". In der Gesamtausgabe, die ich besitze, sind diese Werke in zwei Bänden enthalten. Ich habe die Romane und Erzählungen nahezu verschlungen, ohne genau definieren zu können, warum. Es stimmten die Zeit, die Begeisterung, das Erzählwerk.

1. Dostojewski
„Onkelchens Traum“

Wie bei vielen Werken trägt auch bei diesem Roman die gute Übersetzung von E. K. Rahsin (alias Less Kaerrick) stark zur Faszination für den Text bei. Sie findet (gegenüber anderen Übersetzern) fast immer einen Ton, der unterhaltsam und fließend zugleich ist, der irgendwie anders packt und mitreißt. Daran reichen weder die vielgelobte Swetlana Geier noch Übersetzer wie Hermann Röhl oder Krofiz Holm.

In dieser Hinsicht spielt für mich weniger die wissenschaftlich perfekt ausgearbeitete Übersetzung eine Rolle als ein übertragener Stil, der mich trägt und begeistert. Das gelingt Rahsin immer und hat mir die Lektüre deutlich näher gebracht, die gegenüber den Spätwerken dann doch etwas wässriger ist, eben weil die Tiefe noch fehlt. Ob ein Titel dann ungenau übersetzt ist, was für neue Ausarbeitungen teilweise so wichtig war, interessiert mich herzlich wenig. Bezeichnungen wie „Verbrechen und Strafe“, „Schuld und Sühne“, „Raskolnikow“ … oder „Die Dämonen“ bzw. „Die Teufel“ haben auf den Inhalt wenig Einfluss.
Tatsächlich gefallen mir die alten Titel sogar besser, finde ich „Die Dämonen“ gelungener als die korrekte Auswahl „Die Teufel“. Für mich entscheidend ist ein leichter und mich fesselnder Takt in der Wortwahl und Wortreihenfolge bei der Übersetzung. Schon ein Roman, der russische Namen verallgemeinert, verliert für mich an Wärme. (Wenn Dostojewski drei Verniedlichungen eines Namens aufzählt, wie z. B. im „Gut Stepantschikowo“, lässt Röhl das weg, während Rahsin den Inhalt beibehält. Das sind nur Kleinigkeiten.)

„Onkelchens Traum“ ist als Satire gestaltet, hat mich dann doch überrascht, zumal ich das Frühwerk von Dostojewski weniger kenne und die Reife und Tiefe kaum voraussetzen konnte. Das Ganze wurde aber bereits nach seiner Verbannung verfasst und gewinnt daher erste Züge der Dostojewski’schen Prägnanz. Andererseits ist Tiefe bei dieser Geschichte gar nicht notwendig, vielmehr zeigt sich Dostojewski als ausgezeichneter Psychologe und erzählt gleichsam in ähnlichem Stil aus Tratsch und Klatsch, den seine Figuren pflegen, der vielleicht nicht jeden ansprechen mag, für meine Lesestimmung aber sehr anregend war. Da sprudelt die Story im Kleinstadt-Milieu nur so dahin und zieht auch so manchen Lacher nach sich.

Erzählt wird die Geschichte einer angesehenen Gesellschaftsdame, die sich ihre hohe Position und Macht durch Tricks und Lügen erschlichen hat. Das ist in einer Gemeinschaft, die allgemein aus falschen, reichen und niederen Menschen besteht, nicht unbedingt hinderlich. Doch ein Skandal um die Tochter Sinaida machte der Dame unlängst zu schaffen, da diese sich ausgerechnet in einen armen Lehrer verliebte, der nicht passend für das Kind zu sein schien, und sie dann bei Ablehnung der Heirat öffentlich bloßstellte. Später bereut er und stirbt an Schwindsucht, während die Versöhnung am Totenbett rechtzeitig erfolgt, wobei Dostojewski bereits in diesem Roman das typische Repertoire hervorholt, das auch seinen anderen Roman eigen ist.
Die Gestalt der Tochter Sina ist geprägt von Gutherzigkeit und Wahrheitswunsch, die Falschheit ihrer Mutter geht ihr gänzlich ab. Damit gesellt sie sich zu einer ganzen Reihe ähnlich gestalteter weiblicher Figuren in Dostojewskis Romanen.

Die pikierte Gesellschaftsdame plant nun, Sina mit einem senilen alten Fürsten zu verheiraten, in der Hoffnung, dass dieser bald sterben und Sina alles erben würde. Die Planung und Ausführung wird spannend dargestellt und misslingt am Ende noch viel besser. Schritt für Schritt wird die Scheinheiligkeit der Gemeinde aufgedeckt, in ihrer Falschheit genauso wie in ihrem Klatsch
Die Geschichte ist erstaunlich gelungen. wenn man davon absieht, sie mit seinen großen Werken zu vergleichen. Besonders schön sind Sina, der schusselige Fürst und die raffgierige Mutter Marija Alexandrowna dargestellt. Einen Höhepunkt bildet die Szene, als letztere ihren Mann für ihren Lügen-Auftritt benötigt und diesen dann ganz außerordentlich gut zur Sau macht, während sie ihn für den Vorgang präpariert, vorbereitet und ausstattet. Er darf nur „Hm“ antworten, wenn man ihn etwas fragt und erweist sich als lustiger Gegenpart zu dem ihn drangsalierenden keifenden Weib.

Doch, hier hat Dostojewski so ewas wie Humor bewiesen, auch den typischen psychologischen Ernst, kombiniert mit einer guten Geschichte, die in sich stimmig ist. Die Guten gewinnen, die Schlechten zum Teil auch. Alles passt. Bei weitem gibt es schlechtere „Klassiker“. Mir hat das Buch gefallen.

 

 

(Meine Rezension basiert auf der Gesamtausgabe von Zweitausendeins "Das Gut Stepantschikowo", Übersetzung: E. K. Rahsin)