B L O G

oder

die unendlich brodelnde Emotionssuppe

 

von

Annelie Jagenholz

 

Begegnungen

Mittwoch, 13. Januar 2016 - in Philosophie

„Der Zusammenprall mit einem Menschen, der für unser weiteres Leben wichtig ist – ist es nicht die Begegnung mit uns selbst?“

… fragt Fred Wander in seiner Autobiografie "Das gute Leben". Er meint die innere Quelle des Glücks, die dieser Mensch in uns neu entfacht, die unausweichlich Veränderung nach sich zieht, aber in mir rollen andere Gedanken weiter, die dieser Satz in seiner Aussage an Reflexionen auslöst.

Gerade solche Begegnungen, mit denen man gar nicht rechnet, die einfach stattfinden und dein Leben verändern, wirken im Nachhinein immer koinzident oder gar wie ein Schicksalswink. Alles ergibt dann Sinn, weil sich im Blick auf das Vergangene die Puzzle-Teile zusammenfügen lassen, im Moment der Begegnung allerdings alleine diese enge Verbindung spürbar ist, ohne auch nur zu ahnen, dass dieser Mensch ein wichtiger Bestandteil des eigenen Weges werden wird.

Ich glaube an Begegnungen. Ich weiß, dass jede, ob klein oder groß, wichtig oder unwichtig, eine bestimmte Bedeutung und Wirkung hat. Wenn es sich um eine kurzweilige Situation handelt, kann es sein, dass wir für den anderen wichtig waren, handelt es sich um eine längerfristige Auseinandersetzung mit einem Menschen, ist sein Wert für unser Leben, ob negativ oder positiv behaftet, schon offensichtlicher. Es gibt sogar lästige Begegnungen, die später dann erklärbar werden, sogar Dankbarkeit auslösen, weil sie Teil der eigenen Entwicklung waren oder die eigene Persönlichkeit mit verändert haben.

Und natürlich wird so ein Zusammenprall immer eine Begegnung mit uns selbst, denn wir, um den anderen zu erreichen, beginnen ein „Gespräch“, das sich sowohl an ihn als auch an uns selbst richtet, ganz automatisch. Wir fangen an, uns zu hinterfragen, auf einmal wieder neu, wie wir auf ihn wirken, wer wir sind, was wir von unserem Leben erwarten, stellen uns zumindest in ein Licht, das uns etwas deutlicher zeigt (und ich meine nicht diese verblödete Maske der Schokoladenseite, die aus genau diesem Material besteht und sofort bröckelt oder schmilzt, wenn es tiefer geht (die man im Laufe seines Lebens auch gar nicht mehr bereit ist, aufzusetzen), ich meine vielmehr die aufkommende Freude, sich diesem Menschen überhaupt wieder zeigen zu wollen, eben weil die Basis stimmt). Wir lassen sowohl den Blick als auch die Auseinandersetzung mit uns selbst zu, gerade auch darum, weil der andere nun einmal solche Fragen beantwortet haben möchte, ohne die Frage selbst stellen zu müssen. Dieses Öffnen ist heilsam und zeigt umso deutlicher die Illusion der Isolation.

Beide Charaktere wachsen dabei irgendwie aufeinander zu, ohne es zu beabsichtigen. (Natürlich bleibt auch vieles Deutung, aber eine, die nicht schadet.) Auch das geschieht von selbst, wie durch den Antrieb einer inneren Stimme.

 

Daneben gibt es endlose Begegnungen mit Menschen, die kommen und wieder verschwinden. Ist dagegen die ganz bestimmte Person eingetroffen, spürt man es sofort. Irgendwas passt einfach unfassbar gut zusammen oder löst eine eigenartige Unruhe aus, ein Kreis öffnet und schließt sich um das Ganze, weil es auf einer ganz bestimmten Ebene stattfindet. Nicht die Gedanken, nicht die Ansichten, nicht die Einstellung muss übereinstimmen, es ist etwas anderes, etwas das ein Miteinander oder Gespräch unglaublich vereinfacht, eine gemeinsame Basis, auf der man einander nahtlos erreicht, und sei es auch nur für den Moment, der notwendig ist.

Ich erkenne solche Begegnungen immer daran, dass die Unterhaltung „uralt“ scheint und mühelos ist, einfach dahinfließt und auch beendet wird, ohne dass der andere das Schweigen oder den Abbruch überhaupt wahrnimmt. Solche Gespräche werden an gleicher Stelle wieder aufgenommen, und sie sind auch nur unter diesen Umständen möglich, dass jemand in unser Leben getreten ist, der eine Rolle spielt.

Wie langatmig oder schwer sind dagegen die aufgezwungenen Gespräche, denen man sich aus Höflichkeit widmet. Und dann gibt es noch die Menschen, die ständig um eine Unterhaltung bitten und schließlich, hat man sich die Zeit genommen, nichts zu sagen wissen. Man kann auch gemeinsam lachen oder herumalbern, um wenigstens irgendwie miteinander zu kommunizieren, was mir persönlich dann noch am besten gefällt. Genauso angenehm empfinde ich „literarische Begegnungen“, die auf der Basis poetischer Sentenzen stattfindet oder in der Grundvoraussetzung einer gemeinsamen Liebe zu Büchern oder zur Kunst. Alle Gespräche, die anstrengend sind, ergeben letztendlich kein Miteinander.

Hölderlin hat es in der dreißigjährigen Zeit seines „Wahnsinns“ ganz gut gelöst. Er hat die Höflichkeitsfloskeln dermaßen übertrieben, dass die Leute schnell wieder die Flucht ergreifen wollten. In meinen Turm finden auch nur ganz bestimmte Menschen Eingang. Auch darum, weil sie die einzigen sind, die die Tür sehen können. Alle anderen rennen gegen das Mauerwerk. Manchmal auch, ohne es zu bemerken.

 

(Hier sollte ich jetzt lächeln … was ich auch tue.)