B L O G

oder

die unendlich brodelnde Emotionssuppe

 

von

Annelie Jagenholz

 

Attila Jozsef

Dienstag, 3. Juli 2018 - in Literatur

Attila Jozsef

„Leben und Schaffen“

 

„Ich glaubte, dass nur jenes Lied erklingt,

das auch die dicken Glasscheiben

der Einsamkeit durchdringt.“

 

(Auszug aus dem Gedicht „In Gram Verzehrter“)

 

Diese Gedichtzeile steht für die gesamte Einstellung des Dichters zur Kunst und Dichtung, der ruhelos durch die eigenen Abgründe irrte und auch die Selbstzerfleischung kannte, die er so gekonnt in Szene setzte. Nicht alleine für sich selbst singt er, sondern im Klang einer Stimme, die von vielen gehört werden und in das Blut sickern soll, vielleicht sogar Trost spenden kann. Leider wurde er zu seiner Zeit nicht ausreichend erhört, wie es so vielen Künstlern und Dichtern ergeht. Heute gehört Attila Jozsef zu den Größen der ungarischen modernen Poesie. Etliche Straßen sind nach ihm benannt und viele Denkmale errichtet.

 

Attila Jozsef war ein sehr interessanter Charakter und starb jung und in selbstbeherrschter Verzweiflung durch den Sprung vor einen Güterzug. Dieser Zug erscheint in vielen seiner Gedichte und ist dabei auch Sinnbild für die Stimmung und Einsamkeit des Dichters. Er rattert vorbei, verkörpert Sehnsucht, Traurigkeit und Schmerz, das laute Leben und die stillen Zwischenräume. Er steht für die verschwindenden Momente, die verflossenen Lieben, für den Hunger und die Armut, die der Dichter nur zu gut kannte, für den Schmutz der Welt und den Fortschritt der Zeit. (Neue Nachforschungen stellen sogar die These auf, der Sprung vor den Zug sei nicht freiwillig gewesen. Selbst dann steht der Güterzug für die Tragik der Zeit und die Tragik des Dichterlebens.)

 

Trotz der stark sozialistisch ausgerichteten Einleitung von Miklos Szabolcsi (die das Leben und Sein des Dichters fast nur auf den „Klassenkampf“ und den „Aktionsradius der sozialistischen Kunst“ reduziert) ist der Band „Leben und Schaffen“ gelungen und lesenswert, spiegelt dabei den Charakter Jozsefs in Briefen, Essays und Gedichten, in Erinnerungen, darunter von der Jugendliebe Marta Vago oder der Schwester Jolan Jozsef, und in kleinen Biografieauszügen wieder. Das Buch stammt vom „Corvina Verlag“ und erschien 1978. Das merkt man ihm bedingt auch an. Heute gibt es eine sehr schöne und erweiterte Ausgabe aller Gedichte in der Übersetzung von Daniel Muth mit dem Titel „Ein wilder Apfelbaum will ich werden: Gedichte 1916 – 1937“.

 

Schade ist natürlich, dass in der „Corvina“-Ausgabe kaum etwas über seine Nervenzusammenbrüche, die Therapie, die unerwiderte Liebe zu seiner Therapeutin oder über den Aufenthalt in der Heilanstalt gesagt wird, auch wenig über seine Stimmungsschwankungen und sein eigentliches Wesen. Das lässt sich nur anhand der Berichte und Gedichte erahnen, die teilweise sehr persönlich sind. Erzählt wird dagegen von den letzten Tagen vor seinem Selbstmord aus der Sicht der Schwester, die deutlich zeigen, in welcher Verfassung sich der Dichter befand und die mit einem Beileidsschreiben von Thomas Mann und einem sehr traurigen Gedichts Jozsefs enden. „Schauerlich ist es, daran zurückzudenken, dass es die beruhigende Nähe des Todes war, die sein Gesicht zu strahlender, himmlischer Ruhe verklärte, als er schon beschlossen hatte, sich unweigerlich zu töten“, sagt die Jolan Jozsef, die zusammen mit der anderen Schwester den gleichen Weg gegangen wäre, wären keine Kinder dagewesen. Sie erzählt, wie sie sich durch die Selbstbeherrschung Jozsefs hat täuschen lassen, jene Disziplin, die er in allen harten Phasen seines Lebens aufrechterhielt.

 

Ansonsten ist viel äußerliche Betrachtung enthalten, darunter aber auch ein Briefwechsel zwischen Marta Vago und Jozsef, der die Trennungsgründe verdeutlicht, oder die Aufzeichnung Martas über den Auftritt zur Ehrung von Thomas Mann, der in die Hose ging, da das Gedicht verboten wurde. „Wieder einmal hat man mich des Wenigen beraubt, das ich haben könnte.“, so Jozsefs Reaktion. Interessant und sogar humorvoll ist u. a. die Beschreibung Jozsefs über seinen Selbstmordversuch mit neun Jahren.

 

Was das Buch ausmacht, ist die Auswahl vieler wichtiger Gedichte, mehr oder weniger gut übersetzt. Eine meiner Lieblingsstellen stammt aus einem Gedicht mit dem Titel „Die Urratte geht um“:

 

Auszug:

Und wie der Schakal, der die Gestirne

anruft und seine Klage hinaufkotzt

zum Himmel, wo nur Qualen flimmern,

so heult der Dichter umsonst…

O Sterne, ihr! Ihr groben, rostigen

Eisendolche, die mich umwerben,

wie oft habt ihr meine Seele durchstochen -

(Sterben nur gelingt auf Erden)“

 

Die Übersetzung ist von Richard Pietraß und wechselt bei den vorgestellten Gedichten, wobei man bedenken muss, dass Ungarisch zu den schwierigsten Sprachen gehört, die ins Deutsche kaum übertragbar ist. Die beste Übersetzung stammt übrigens fast immer von Franz Fühmann, durch den ich in seinem Buch „Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“ auf den Dichter aufmerksam wurde. Er hatte ein gutes Händchen für Wortwahl und Rhythmus, was erstaunlich ist, da Fühmann das Ungarische nicht im Ganzen beherrschte. Das beschreibt er zumindest in seinem autobiografischen Werk.

 

Auch die Gedichte, die Jozsef über seine Mutter schreibt, sind bewegend, darunter der poetische Vorwurf, dass sie starb. „So schwingt das Kind/ die Rassel weiter, blind,/ nachdem die Mutter es verlassen.“

An anderer Stelle sagt er: „Sie wurde langsam krumm vom Waschen./Ich wusste nicht, dass sie noch jung war“. Genau  das ist auch auf den im Buch enthaltenen Fotos zu erkennen. Innerhalb weniger Jahre altert die Frau erstaunlich schnell, was sicherlich nicht nur durch die schwierigen Zeiten, sondern auch durch Krankheit und Leid beschleunigt wurde. Jozsef schreit seinen Kummer noch viele Jahre nach ihrem Tod laut hinaus: „Wie eine leichte, liederliche Dirne dem Wink gehorcht, gabst du dem Tod dich hin.“. Das trifft den Leser wie ein Schlag ins Gesicht.

Die Mutter starb 1919 an Gebärmutterkrebs, als ein weiterer Schicksalsschlag in Jozefs sowieso schon schwierigen Leben. Die Zeiten waren hart, der Hunger groß. Als sie starb, war er gerade unterwegs, um Lebensmittel von Bekannten zu erbitten. Zuvor verließ der Vater die Familie, angeblich, um nach Amerika auszuwandern. Später stellte sich heraus, dass er in Rumänien landete und seine Frau mit den drei Kindern einfach sitzen ließ, was Jozsef zum Glück nie erfahren hat, da er bereits 1937 im Alter von 32 Jahren starb.

 

Das Gedicht „Besinnung“ mag der krönende Abschluss eines ganzen Lebens sein. Sein Biograf und Freund, der Kritiker Andor Nemeth, erzählt in seiner Biografie, es sei entstanden, als Attila auf die Gleise am Güterbahnhof starrte, neben dem er wohl gewohnt hat.

 

Auszug:

 

VII

„Unter dem Abend in der Himmel

Zahnradwerk ich die Blicke hob –

und sein Gesetz aus Zufallsfasern

der Webstuhl des Vergangnen wob,

und wieder meinen Blick ich schob

durch meiner Träume dichte Dünste

und sah: Die gleißenden Gespinste

zertrennten sich stets irgendwo.“

 

Und wieder einmal herrlich übersetzt von Fühmann. Besagtes Gedicht endet wie das Leben des wunderbaren Dichters. Tiefgreifend, einsam und verzweifelt, fast wie der letzte Sprung vor den Zug.

 

XII

„Ich wohne an der Bahn. Viel Züge

kommen und gehen an mir vorbei,

im wehenden Samtdunkel seh ich

schweben der lichten Fenster Reih.

So durch das ewge Einerlei

der Nacht erhellte Tage jagen,

und ich im Lichte jedes Wagens

steh da und lehn mich an und schweig.“

 

Ich würde gerne mehr über den Dichter erfahren, dessen eines Denkmal in Budapest so beeindruckend ist, die sitzende Gestalt auf der Treppe, die gebeugt und in sich gekehrt den Hut in der Hand hält, während auf den Stufen der weggeworfene Mantel liegt. Schön wäre auch eine Übersetzung der Erinnerungen von Jolan Jozsef oder überhaupt eine Biografie in großem Format. Der Dichter jedenfalls hätte es mehr als verdient.

 

(Quelle: Wikipedia)

 

 

(Alle Zitate stammen aus der Ausgabe "Attila Jozsef - Leben und Schaffen", Corvina Verlag).